Wandel durch Globalisierung und Digitalisierung
[…] Verunsicherungen wachsen angesichts des raschen Wandels durch Globalisierung und Digitalisierung. Zusammenhänge lösen sich auf, Zugehörigkeiten brechen auf und neue entstehen. Alte Gewissheiten und Identitäten werden infrage gestellt, und neue, vermeintliche Gewissheiten werden in Stellung gebracht gegen zunehmende Sorgen und Zweifel.
Das menschliche Bedürfnis nach Geborgenheit in vertrauten Lebensräumen trifft auf eine zunehmend als ungemütlich empfundene Welt voller Konflikte, Krisen, Kriege und medial präsentem Schrecken. Vor diesem Hintergrund verschärft sich die Tonlage der gesellschaftlichen Debatten. All das können wir übrigens vielerorts in Europa beobachten. […]
Wandel der Medien und ihrer Nutzung
Hinzu kommt der Wandel der Medien und ihrer Nutzung durch die Veränderungen in der Informationstechnologie. Die Zersplitterung in viele Teilöffentlichkeiten führt dazu, dass uns eine erkennbar gemeinsame Sicht auf politische Prioritäten verlorengeht. Da kann dieses Parlament ein Ort der Bündelung, der Fokussierung, der Konzentration auf die wichtigen Fragen unserer gesellschaftlichen Zukunft in Deutschland wie in Europa sein. […]
Streit mit Respekt ist notwendig
Was aber sehr wohl sein darf und sein muss, ist, dass der parlamentarische Prozess hier im Hause sichtbar macht, wie schwierig sowohl die Durchsetzung als auch der Ausgleich von Interessen in einer liberalen Demokratie sind. Da darf Streit nicht nur sein; das geht nur über Streit. Den müssen wir führen, und den müssen wir aushalten, ertragen. Demokratischer Streit ist notwendig, aber es ist ein Streit nach Regeln, und es ist mit der Bereitschaft verbunden, die demokratischen Verfahren zu achten und die dann und so zustande gekommenen Mehrheitsentscheidungen nicht als illegitim oder verräterisch oder sonst wie zu denunzieren, sondern die Beschlüsse der Mehrheit zu akzeptieren. Das ist parlamentarische Kultur.
Und da kommt es dann auch auf den Stil an, in dem wir uns hier streiten und in dem wir füreinander Respekt signalisieren können.
Es gab in den vergangenen Monaten in unserem Land Töne der Verächtlichmachung und Erniedrigung. Ich finde, das hat keinen Platz in einem zivilisierten Miteinander.
Die überwältigende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land will ein zivilisiertes Miteinander. In aufgewühlten Zeiten wie unseren wächst das Bedürfnis nach Formen des Verhaltens, über die man lange nicht mehr geredet hat, weil man sie als selbstverständlich ansah. Es wird wieder über Anstand gesprochen – sogar Bücher werden darüber geschrieben und kommen auf die Bestsellerlisten -, und es wird auch über die Frage gesprochen, wie wir in der Gesellschaft miteinander umgehen sollen: Respekt füreinander haben, nicht jeden persönlichen Spielraum maximal ausnutzen, ein offenes Ohr haben für die Argumente des anderen, ihn anerkennen mit seiner anderen Meinung.
Fairness ist möglich
Es geht um Fairness. Hundertprozentige Gerechtigkeit gibt es nicht, aber Fairness ist möglich in dem Sinne, dass sich möglichst alle angesprochen fühlen und nicht ausgeschlossen bleiben. […]
Deswegen haben wir die Pflicht, diesen Ort wertzuhalten, als Ort des nachvollziehbaren sachlichen wie auch emotionalen Streits – ja, auch Gefühle gehören dazu -, stellvertretend für die Mitbürgerinnen und Mitbürger die Dinge, die alle angehen, argumentativ gegeneinander oder miteinander auszumachen und dann mit Mehrheit zu entscheiden. […]
Kompliziertheit aushalten
In Zeiten zunehmender Globalisierung heißt das auch, die Kompliziertheit unserer Welt auszuhalten. Aber wir haben zugleich auch die Chance, der Welt, die sich uns nähert, zu zeigen, dass der Parlamentarismus etwas taugt, dass er funktioniert und dass er zu Lösungen für die Probleme und Herausforderungen fähig ist. […]
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