“… Das Verhängnis nahm im vergangenen Herbst seinen Lauf. Inzwischen füllen die Details mehrere Aktenordner, die Angaben und Ansichten der Parteien sind widersprüchlich, ja, gegensätzlich. Fest steht, dass im Dezember der Erste Solist István Simon dem Ballettdirektor Aaron Watkin gegenüber erklärte, dass ihn der Erste Ballettmeister Gamal Gouda verbal sexuell belästigt habe. Simon legte die Anschuldigung schriftlich nieder, die Oper betraute eine Anwaltskanzlei mit der Klärung des Sachverhalts.
Hätte sich diese professionelle und menschliche Katastrophe vermeiden lassen? Wahrscheinlich
Gamal Gouda bestritt die Vorwürfe durch eine eidesstattliche Erklärung. István Simon unterzog sich einem Lügendetektortest. Er schaltete ebenfalls Juristen ein und lehnte eine Kooperation mit dem von der Oper beauftragten Anwaltsbüro ab. Gleichzeitig kam es zu arbeitsgerichtlichen Verfahren, schließlich zeichnete sich das Scheitern der externen Untersuchung ab. Mit der Konsequenz, “dass man nicht weiß, was geschehen ist”, sagt Intendant Rothe. Zuletzt sprach die Oper dem Tänzer eine außerordentliche Kündigung aus und begründete dies mit der Zerstörung des Vertrauensverhältnisses.
Hätte sich diese professionelle und menschliche Katastrophe vermeiden lassen? Ist sie ein Einzelfall? Und wie verhält sich das Ensemble? Wer mit den Beteiligten spricht, stellt zunächst fest: Niemand hat alles verkehrt, keiner hat alles richtig gemacht. Aaron Watkin und sein Leitungsteam erkennen im Rückblick, dass eine frühzeitige Mediation oder Supervision die Eskalation vermutlich aufgehalten hätte. Solche Instrumente aber sind im Theaterbetrieb rar, vor allem im Tanz beschränkt sich das Personalmanagement auf den Kreislauf von Training, Probe, Vorstellung.”
Präventives Konfliktmanagement
Dorian Weickmann beschreibt in ihrem Artikel, dass das Binnenklima der Branche durch “Angst, Angst, Angst” geprägt ist und die Tänzer erst sprechen, wenn sie ausgestiegen sind. Der enorme Konkurrenzdruck und die Sorge, das stets nur um ein Jahr verlängerte Engagement zu verlieren, zusätzlich verunsichere. Sie fordert ein präventives Konfliktmanagement: “Es braucht eine streitbare und offene Ensemblekultur, eine zeitgemäße Personal- und Kriseninterventionspolitik. Denn am Ende handelt es sich nicht um persönliche Fehden, sondern um die Glaubwürdigkeit des Theaters als moralische Anstalt.”
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