Unsere heutige Lebens- und Arbeitswelt verlangt ein vielschichtiges fachliches Wissen und Können. Es verlangt aber auch eine gesunde Selbstsorge, damit wir nicht zwischen den Anforderungen aufgerieben werden, die von innen wie von außen an uns herangetragen werden. Nicht nur ein Kümmern um andere, sondern auch ein sinnvoller, aufmerksamer Umgang mit uns selbst ist erforderlich, um den Spagat zwischen Familie und Beruf langfristig gesund bewältigen zu können.
Beziehungen sind dafür eine wichtige Konstante. Insbesondere funktionierende familiäre Beziehungen haben besonderen Wert. Sie sind vielschichtig und begleiten uns von Geburt an ein ganzes Leben lang. Sie bestimmen unsere Denk- und Verhaltensmuster, unsere Emotionen und Bedürfnisse, unsere Werte und Überzeugungen. Damit sind sie Beweggrund und Motivation für unser Handeln und Verhalten. Die Wirkungen sind nachhaltig und nicht zu unterschätzen. Je enger der Verbund, desto wirkkräftiger sind die Prägungen – im positiven wie negativen. Sie können größtes Glück oder erdrückende Last, Fluch oder Segen bedeuten. Gegen familiäre Prägungen arbeiten oder ihnen gar entfliehen zu wollen, ist anstrengend, schwer, manchmal unmöglich.
Eltern und Geschwister, die Kernfamilie, sind dabei ein besonders machtvolles Beziehungsgeflecht. Bewusst oder unbewusst haben sie größten Einfluss auf unser Leben. Umgeben von Erwartungen, Hoffnungen und Enttäuschungen wachsen wir im wechselseitigen Austausch mit ihnen heran. Die damit einhergehende Dynamik innerhalb des familiären Systems bewegt sich zwischen Nähe und Distanz.
Selbstwertgefühl
Die Auswirkungen familiärer Prägungen auf unser Selbstwertgefühl sind besonders gravierend. Ein starkes Selbstwertgefühl ist die Basis für mehr Zufriedenheit, Gesundheit und Erfolg. Es macht fähig, schwierige Situationen adäquat zu bewältigen. Ein geringeres Selbstwertgefühl kann nachhaltig individuelles Handeln blockieren und lähmen. Es kann zu beruflichen Misserfolgen, Beziehungsproblemen, Alkohol- oder Drogenmissbrauch und anderen nachhaltigen Schwierigkeiten führen, die Lebenschancen verbauen. Im 21. Jahrhundert und im westeuropäischen Kulturkreis hat die Fürsorge und die Einbindung in Familie weitgehend der persönlichen Freiheit Platz eingeräumt, ein Leben selbstbestimmt zu gestalten, so dass Frauen und Männer frei nach eigenen Interessen, Wünschen und Bedürfnissen wählen und ihre Entscheidungen treffen können. Bei aller Unabhängigkeit, Individualität und Wahlfreiheit bleibt der Einfluss unserer Eltern und Geschwister auf unser Leben – im positiven wie negativen – zumindest unbewusst bestehen.
Die Macht des Unbewussten
Tatsächlich lässt sich unser Handeln und Verhalten nur begrenzt durch den Verstand kontrollieren. Nach dem sogenannten Eisbergmodell, das auf den Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud (1856 – 1939) zurückgeht, ist nur ein kleiner Teil (ca. 20%) über der Wasseroberfläche sichtbar und der Rest (80%) ist unter der Wasseroberfläche verborgen. Sichtbar über der Wasseroberfläche ist alles Bewusste, das durch den Verstand kontrollierbar ist. Im Unbewussten, dass heißt unter der Wasseroberfläche, wirken die Emotionen und Triebe. Es ist die Macht des Unbewussten, die uns lenkt. Im Unbewussten wirken auch unsere familiären Erfahrungen und Prägungen. Das kann schon einmal unsere persönliche Integrität, unsere Ressourcen und die Handlungsfähigkeit beeinträchtigen, sie mitunter ganz aushebeln.
Verhalten der Eltern
Wie ein Kind sich entwickelt, hängt nicht nur von seinen genetischen Anlagen, sondern in hohem Maße vom Kommunikations- und Erziehungsverhalten seiner Eltern ab. Wer nur geliebt wird, wenn er gute Noten nach Hause bringt, sportliche oder musikalische Glanzleistungen vollbringt und sich immer vorbildlich verhält, für den kann es schwer werden, seine Interessen, Wünsche und Bedürfnisse in einem stimmigen Maß wahrzunehmen und zu beachten. In der Arbeitswelt und im sozialen Leben kann das Konsequenzen haben. Wer in seiner Kindheit und Jugend häufig Sätze gehört hat wie: “Nimm dich selbst nicht so wichtig!” “Reiß dich zusammen.” “Du hast jetzt mal Sendepause”, “Lass nicht immer alle auf dich warten.” “Sei gefällig.” für den kann es eine echte Herausforderung sein, sich selbst die notwendige Wertschätzung zu geben und für sich zu sorgen.
Selbstsorge
Ein ausgewogenes Zusammenspiel von Emotionen und Verstand befähigt, für sich selbst zu sorgen.
Dafür müssen wir eigene Emotionen erkennen und regulieren können. Und wir müssen lernen, ihnen zu vertrauen! Sie unterstützen uns bei allem rationalen Abwägen. Das Hinschauen und Bewusstmachen der familiären Prägungen ist ein erster Schritt zur Selbstsorge.
Die Selbstsorge führt zu Akzeptanz und (Selbst-)Liebe – das bedeutet (Selbst-)Wertschätzung. Mit dieser (Selbst-)Wertschätzung wird der innere und äußere (Selbst-)Wert gestärkt. Das ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, um für andere da sein zu können. Nur wer sich selbst wertschätzt, kann anderen Wertschätzung entgegen bringen und Beziehungen mit Vertrauen und Verbundenheit aufbauen und leben. Selbstsorge ist damit auch für das bestehende Beziehungsgeflecht der eigenen (neuen) Familie notwendig, um Nähe und Distanz selbstbestimmt in Balance halten zu können.
Hilfreiche Fragen, um störende Denk- und Verhaltensmuster abzulegen, sind:
– Welche Werte und Talente machen mich aus?
– Was bringe ich aus der Herkunftsfamilie mit? Habe ich etwas daraus gemacht?
– Möchte ich davon etwas an meine Kinder weitergeben?
– Welche Muster und Glaubenssätze gilt es aufzulösen?
– Wie würden Familie und gute Freunde, diesen Fragen beantworten?
Kommunikation und Klarheit
Wir alle verändern uns unser Leben lang, und mit uns verändern sich die Beziehungen um uns herum. Familie ist eine stete systemische Interaktion: Die Systeme des einen geraten durch die Veränderung des anderen in Unruhe und bedürfen der Klärung. Klärung braucht zunächst innere Klarheit. Wer bereit ist, sein Bewusstsein offen und ehrlich zu hinterfragen, kann sich innere Klarheit verschaffen und weiterentwickeln. Der Blick von außen auf das eigene System mit Hilfe einer dritten Person, kann sich dabei als hilfreich erweisen.
Sobald innere Klarheit besteht, braucht diese äußere Klarheit, um Wirkkraft entfalten zu können. Ohne eine deutliche Kommunikation der eigenen Interessen, Wünsche und Bedürfnisse wird der Beziehungspartner kaum erahnen oder in unseren Augen lesen können, was uns gerade bewegt. Aber sollte er nicht davon wissen?! Alles, was einen Konflikt in sich bergen könnte, unter den Teppich zu kehren, Machtkämpfe und Vorwürfe führen sicher nicht zur notwendigen Klärung.
Die große Herausforderung wird sein, die richtigen Worte zu finden und sich so auszudrücken, dass es der Beziehung dient und sie nicht belastet. Wertschätzende Kommunikation und klares Feedback – auch in emotional angespannten Situationen – lässt sich lernen.
Exkurs: Eigene Kinder
Kommunikation in familiären Beziehungen ist eine große Herausforderung. Gelingt sie, ist sie Baustein für ein harmonisches Familienklima, und kann auch Kindern ein gutes Gefühl von Wertschätzung und Anerkennung vermitteln. Durch Vorbild und Anleitung können sie lernen, Dinge anzusprechen, zuzuhören, aufeinander einzugehen und sich auch wieder zu versöhnen. Offene Kommunikation schafft Nähe und Vertrautheit, kann zu einer positiven Familienprägung und damit zu einem gesunden Selbstwertgefühl beitragen.
Ermutigen Sie ihre Familie (altersangemessen) im Miteinander offen und ehrlich miteinander umzugehen. Reden Sie über ihre eigenen Interessen, Wünschen und Bedürfnissen und über unterschiedliche Auffassungen. Eine offene Kommunikation wird Ihre Kinder befähigen, ihre eigenen Interessen, Wünsche und Bedürfnisse in einem stimmigen Maß wahrzunehmen und zu beachten. Vermitteln Sie ihren Kindern verbal und non-verbal, „du bist gut, so wie du bist“ oder „du kannst das“ oder “das was du machst, machst du gut”, ohne sie zu idealisieren und alles toll zu finden. Sie sollten lernen, dass Erfolge nicht selbstverständlich und Fehler keine Katastrophe sind. Es wird ihr Selbstwertgefühl prägen. Bei jedem Kind auf seine ganz eigene Weise. So geben Sie ihnen die Chance, langfristig den Spagat zwischen Familie und Beruf gesund bewältigen zu können.
Also, scheuen Sie sich nicht, zu sagen, was Sie bewegt. Im Zweifel spürt Ihr Umfeld es und denkt bereits darüber nach.
Ich wünsche Ihnen eine gute (Familien-)Zeit – genießen Sie den Tag!
Ihre Dr. Bettina Janssen
(Rechtsanwältin, Mediatorin (BM), Supervisorin (DGSv), Coach (ECA)
Der Beitrag wurde geschrieben von Dr. Bettina Janssen für
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